Helmut Rahn musste aus dem Hintergrund schießen, um unseren ersten Titel zu feiern. Gerd Müller musste sich um sich selbst drehen, damit wir zum zweiten Mal Weltmeister wurden. Jürgen Klinsmann brachte die Abwehr durcheinander, weshalb wir in Rom WM-Titel Nummer 3 geschenkt bekamen. Thomas Müller spazierte durch den Strafraum, bis wir 2014 erneut am Ziel unserer Träume angelangt waren.

Auch 2018 brauchen wir wieder jemanden, der uns mit Toren verwöhnt und das Land jubeln lässt. Einen, der einfach immer dort steht, wohin der Ball kommt. Einen, der eiskalt ist. Und einen, von dem wir uns stolz das Trikot mit der Nummer 9 kaufen.
Wir haben den einen, den wir brauchen. Er ist jung, trifft aus allen Lagen, ist so schnell wie kaum ein anderer und hat mit gerade einmal 22 Jahren mehr erlebt, als manch anderer mit 32. Wir haben den einen, der uns zum WM-Titel schießen kann. Dieser eine bringt alles mit, was ein Weltklassespieler braucht. Wir haben ihn, Timo Werner.
Und Timo Werner kann unser Star in Russland werden. Ein bodenständiger, ruhiger, ehrgeiziger junger Stürmer, der auf dem heimischen Bolzplatz gar nicht weiter auffallen würde. Bis er los sprintet und das Runde im Eckigen versenkt. Dann fällt Timo Werner auf. Auffallen will er nur auf dem Platz. Und aufgefallen ist Timo Werner schon früh. Er ist erst 22, und doch hat man das Gefühl, als sei er schon Jahre dabei. Genau genommen ist er das auch, denn für Werner begann das Abenteuer Profifußball schon mit 17 Jahren. Andere überlegen zu diesem Zeitpunkt, was sie eigentlich mit ihrem Leben machen wollen. Timo Werner wird Fußballprofi. Nicht irgendwo, sondern daheim im Ländle.

Waschechter Stuttgarter.

Stuttgarter Junge. © Imago

Und daheim hat er alles miterlebt. Erlebt, wie Kindheitsträume wahr werden und erlebt, wenn man auf einmal der Buhmann ist. Geboren in Bad Cannstatt, was bleibt da anderes übrig, als zum VfB zu gehen? Timo Werner ist elf Jahre alt, als er einen unvergesslichen Tag erlebt. Sein VfB wird Deutscher Meister, eine Überraschung, wie sie größer nicht hätte sein können. Vor allem einer imponiert ihm: Der 20-jährige Mario Gomez, sein neues Idol. Vorbild Gomez wird beim VfB zum Nationalspieler, holt die Champions League mit dem FC Bayern und ist eine feste Größe für die Deutsche Elf. Er lebt die Karriere, die Werner auch unbedingt möchte. Eines hat er ihm schon einmal voraus: Er wird zum Shootingstar, bevor er überhaupt debütiert. Denn Stuttgart spürt: Hier wächst vermutlich ein Jahrhunderttalent heran. Wir haben Jürgen Klinsmann, Mario Gomez und Sami Khedira herausgebracht, aber dieser Werner, der kann ein ganz Großer werden. Noch träumt er davon, zehn Tore in einer Saison zu schießen. Er möchte diesen Traum vom Profi verwirklichen und arbeitet am großen Ziel. Im August 2013 darf er zum ersten Mal auf die Bundesligabühne. Er ist noch nicht einmal 17,5 Jahre alt. Zwei Wochen später folgt die erste Gala mit zwei Torvorlagen, eine weitere Woche danach erzielt er den ersten Treffer. Und auch den ersten Rekord gibt es schon vor der Volljährigkeit: Er wird im November 2013 zum jüngsten Doppeltorschützen der Ligageschichte. Trotz des rasanten Aufstiegs ist allen klar: Dieses Talent müssen wir ganz behutsam aufbauen. Sowohl bei Lob als auch bei Kritik fängt der VfB alles ab, was Werner beeinflussen könnte. Denn neben der Karriere macht der Stürmer auch noch sein Abitur.

Widerstände lassen ihn erwachsen werden

Mit 19 wartet die erste Prüfung auf Timo Werner. Alexander Zorniger wird Trainer in Stuttgart und hat Probleme, sich mit seinem Stürmer zurechtzufinden. Er ist nicht zufrieden mit Werner und kritisiert ihn öffentlich. Auch die Fans fangen im Abstiegskampf an, sich in Timo Werner ihren Sündenbock zu suchen. Vor Kurzem noch der gefeierte Publikumsliebling, dem der VfB den Stress fernhielt. Plötzlich fand er sich in einem schlechten Film wieder. Nie wollte er seinen Heimatclub verlassen. Nach dem Stuttgarter Abstieg, für den er einer der Hauptverantwortlichen sein sollte, tat er es dennoch. Denn er hatte noch immer diesen einen Traum: Seinem Vorbild Mario Gomez nacheifern. Titel gewinnen und Nationalspieler werden. In der zweiten Liga für einen Verein, wo weder Fans noch Verantwortliche an ihn glaubten? Das ist nicht sein Anspruch.

Timo Werner erlebt schwierige Zeiten beim VfB.

Erst geliebt, dann verjagt. © Imago

Er will spielen, sich entwickeln, immer besser werden und Tore schießen. Und er will, dass seine Trainer und vor allem seine Fans ihm vertrauen und ihn unterstützen. Diese Unterstützung findet er im Sommer 2016 in Leipzig. Zum ersten Mal geht es für den 20-Jährigen weg von Zuhause. Was am Anfang schwer fällt, ist nach wenigen Monaten Routine. Denn Werner kommt sofort an in Leipzig, auf und neben dem Platz. Nach ein paar Wochen sieht die ganze Liga: Hier spielt womöglich der beste deutsche Stürmer seit Langem. Aber dieser beste deutsche Mittelstürmer macht einen Fehler. Einen Fehler, für den er nicht sofort um Vergebung bittet. Im Dezember 2016 fällt Werner im Strafraum ohne Berührung. Es gibt Elfmeter, obwohl es eine klare Schwalbe des Youngsters war. Nach dem Spiel gibt er nicht zu, dass die Entscheidung des Schiedsrichters falsch war.

Ein junger Spieler hat einen Fehler gemacht. Er hat sich fallen lassen, weil er die Chance auf einen Strafstoß sah. Und er hat nach dem Spiel nicht sofort gesagt, dass es ihm leid tut. So etwas passiert in den Ligen dieser Welt alle zwei Wochen. Und so etwas ist auch eigentlich nicht weiter schlimm. Bei Timo Werner aber ist alles anders. Er wird über Monate hinweg beschimpft und ist plötzlich das Feindbild der Nation. Er erlebt ein Déjà-vu. Heute bewundert, morgen gehasst. Wie schon beim VfB ändert sich das Blatt schlagartig und Werner steht in seiner noch jungen Karriere vor einer riesen Herausforderung. Einer Herausforderung, an der viele in seinem Alter zerbrochen wären. Die Anfeindungen im Stadion, in den sozialen Netzwerken und in der Öffentlichkeit machen ihn stark. Die eigenen Fans stehen zu 100 Prozent hinter ihm. Der Druck, der plötzlich auf ihm lastet, härtet ihn ab. Er gewinnt der Situation etwas Positives ab, denn er weiß: Sogar in dieser schweren Phase habe ich weiter und weiter getroffen und bin immer besser geworden.

In Leipzig wird Timo Werner immer besser.

Er kommt, sieht und trifft. © Imago

Endlich angekommen in den Herzen der Fans

Es dauert, aber nach einigen Monaten legt sich der Trubel. Die Menschen erkennen: Timo Werner ist kein schlechter Mensch. Er hat einen Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt. Neun Monate später ist er zurück in Stuttgart und spielt mit der Nationalmannschaft in der alten Heimat. Er ist unsicher, weiß nicht, wie er empfangen wird. Er hofft auf eine ruhige Stimmung. Und seine Hoffnung wird übertroffen. Dort, wo er einst vom Hof gejagt wurde, wird er gefeiert. Fußball Deutschland hat erkannt: Timo Werner ist nicht nur ein Jahrhunderttalent, er ist auch eine starke Persönlichkeit. Einer, der sich in jungen Jahren nie hat unterkriegen lassen. Aus seinen Fehlern gelernt und sich dabei nie verstellt hat. Er hätte nach der Schwalbe reumütige Posts in den sozialen Medien verfassen oder im Fernsehen auftreten können. Hätte sich lautstark dazu äußern oder die Schuld aufschieben können. Aber er ist der Timo Werner geblieben, der er immer war. Ruhig, zurückhaltend, fast schüchtern und dennoch stark und überlegt.

Er wird Vizemeister mit Leipzig, spielt Champions League, debütiert für Deutschland und wird beim Confed Cup-Sieg Torschützenkönig. Eine Geschichte wie im Märchen, die ihm selbst fast schon zu schnell geht. Für sein Land zu spielen, ist für ihn das Schönste überhaupt. In der Kabine sitzt er dann neben seinem Vorbild Mario Gomez. Früher hat er ihn bewundert, wie er ein Tor nach dem anderen erzielt hat. Saß vor dem Fernseher und wusste: Das will ich auch. Heute fahren sie zusammen zu Länderspielen. Und Gomez steht auf, um ihm viel Erfolg für das Spiel zu wünschen. Das Idol sitzt draußen auf der Bank, während er selbst auf dem Platz stehen darf. Gewünscht hat er sich das 2007, erwartet aber nicht. Er hat es erreicht, weil er immer wusste, wohin er will. Er hat es erreicht, weil er sich von Rückschlägen nicht hat beeinflussen lassen. Und er hat es erreicht, weil er immer an sich geglaubt hat.

Deutschland ist stolz auf Timo Werner. Niemand kommt mehr auf die Idee, ihn auszupfeifen. Sein Umgang mit dieser schwierigen Situation war der eines absoluten Weltklassespielers würdig. Dieser Weltklassespieler will er werden, denn er weiß: Besser geht immer. Zu gut werde ich nie sein, arbeiten kann ich jeden Tag an mir.
Deutschlands Stürmer waren überragend. Sie haben uns feiern lassen und uns vier WM-Titel geschenkt. Auch 2018 werden wir wieder jemanden haben, der für die besonderen Glücksmomente sorgt. Und jemanden, von dem wir stolz das Trikot tragen, weil wir wissen, wie gut dieser Junge sportlich wie menschlich ist. Wenn uns Timo Werner am 15. Juli zum Weltmeister schießt, wird auch Mario Gomez jubeln. Dann feiert Werner zusammen mit seinem großen Vorbild den größten Erfolg, den es im Fußball gibt. Dann ist es kein Traum mehr, sondern Realität.

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