„Schaut, es ist passiert. Aber nächstes Jahr holen wir uns den Pokal. OK?“

Welche Worte findet man in der dunkelsten Stunde eines Fußballerlebens? Findet man überhaupt welche? Irgendjemand muss sie finden. Die Worte, die die Mannschaft wieder aufrichten. Du brauchst als Trainer viele Spielertypen. Den lustigen Entertainer, den Erfahrenen, einen agressiv leader, den jungen Unbekümmerten und den, der sich immer vor die Mannschaft stellt. Von jedem Spielertyp hat man in der Regel mehr als nur einen. Spielerisch hast du die Wahl aus technisch versierten, torgefährlichen und zweikampfstarken Profis. Jeder Spieler ist irgendeiner Kategorie zuzuordnen. Mancher fühlt sich gar in mehreren wohl.

Und dann gibt es den einen, der ganz anders ist. Unverwechselbar. Einzigartig. Einen, den es so nie mehr wieder geben wird. Der so gut ist, dass man sagen kann: „Müller spielt immer“.
Dieser Müller schafft etwas Besonderes. Fast alle mögen ihn. Bei einem Spieler des FC Bayern ist das wahrlich etwas Erstaunliches. Und dieser Müller ist jemand, den man unbedingt in seiner Mannschaft haben will, spielerisch wie menschlich.
Beim FC Bayern steht er auf einer Stufe mit Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Ohne Müller? Kein Fan kann sich diese Situation vorstellen. „Müller spielt immer“, sagt Louis van Gaal über seinen 19-jährigen Spieler. Er wirft einen unbekümmerten Nachwuchsspieler ins kalte Wasser. Am Ende der Saison ist Thomas Müller 20. Hat das Double gewonnen und stand im Finale der Champions League. Hat 13 Treffer erzielt und 11 vorbereitet. Und steht im Kader für die Weltmeisterschaft in Südafrika. Ein erstes Jahr, das für viele ein absoluter Traum ist. Müller darf diesen Traum leben. Kurz vor der WM testet die DFB-Elf gegen Argentinien. Trainer Diego Maradona weigert sich, mit Thomas Müller zu erscheinen. Die argentinische Legende kennt ihn nämlich nicht. Wenig später lernt Maradona ihn kennen. Deutschland gewinnt mit 4-0 gegen seine Argentinier und die Presse titelt: „Diego, der Junge heißt Müller“.

Müller erlebt in seinem ersten Profijahr mehr, als die meisten Spieler in ihrer ganzen Karriere. Er feiert zwei Titel, lebt den Glanz einer WM und wird von seinen Fans sofort als Publikumsliebling gefeiert. Aber er lernt auch, wie sich bittere Niederlagen anfühlen. Das Champions League Finale verliert er gegen Inter Mailand, in Südafrika siegt Spanien im Halbfinale. Er muss früh lernen, wie man mit Rückschlägen umgeht. Als Shootingstar steht er jetzt im Mittelpunkt und muss von heute auf morgen damit zurechtkommen.
Die Unbekümmertheit, die er auf dem und neben dem Platz zeigt, wird sein Markenzeichen.
Für viele ist Thomas Müller ein Spaßvogel. Einer, der locker mit Problemen umgeht und immer gute Laune hat. Aber kein Führungsspieler.

THomas Müller ist das Aushängeschild des FC Bayern.

Nur wenige Monate nach seinem Debüt steht fest: Bayern ohne Müller? Geht nicht. ©Imago

Die Saison 2011/12 ist erst die dritte für Müller, aber die schwerste. Seine Bayern verlieren alle Titel. Er ist kurz davor, der große Held zu werden. Trifft im Finale der Champions League sieben Minuten vor Schluss. Sein Verein, seine Stadt und seine Fans sind kurz davor, sich unsterblich zu machen. Aber Müller muss später von der Bank aus verfolgen, wie das Spiel verloren geht. München versinkt in einem Tränenmeer, der Klub steht völlig unter Schock. Müller ist am Boden zerstört. Weint mit seinem Verein, den er von Kindheitstagen an so sehr liebt. Weint als Spieler und als Fan. Er ist erst 22, aber er weiß: Es muss weitergehen. Wir müssen aufstehen und es nächstes Jahr besser machen. Es ist Thomas Müller, der seine Mannschaft wieder aufrichtet und allen eine SMS schickt.

Führungspersönlichkeit

Müller weint ein Jahr später wieder. Diesmal steht er auf der Seite der Gewinner. „Nächstes Jahr holen wir uns den Pokal“ hatte er seiner Mannschaft versprochen. Und er behält Recht. Nach den herben Rückschlägen des Vorjahres haben alle an seine Worte geglaubt und waren zusammen wieder aufgestanden.
Mit 23 Jahren ist Thomas Müller nicht mehr einfach nur der lustige Stürmer, der mit den Medien spielt. Mit 23 Jahren ist er bereits zu einem Führungsspieler gereift, dessen Wort Gewicht hat. Ein Führungsspieler, der Verantwortung übernehmen soll, als es im Juni 2014 nach Brasilien geht. Kaum ein Stammspieler ist jünger als er. Trotzdem gehört Müller mit Schweinsteiger, Neuer und Kroos zu den Stellvertretern von Kapitän Philipp Lahm. Die fünf WM-Tore von 2010 wiederholt er, steht am Ende im Finale gegen Argentinien. Diego Maradona weiß diesmal ganz genau, wer er ist.
Mittlerweile ist er 24. Und hat alles gewonnen.

2013 gewinnt Müller alle Titel mit den Bayern.

Tränen des Glücks. Der Titel in der Champions League macht Müller sprachlos. ©Imago

Das, was Müller auf dem Platz ausmacht, zeichnet ihn auch abseits des Rasens aus. Gradlinig, selbstkritisch und trotzdem locker. Ehrgeiz, Disziplin und Spaß am Fußball, das ist Thomas Müller. Und das lernt er sehr früh. Er möchte nicht bei irgendeinem Verein spielen. Er möchte bei seinem FC Bayern spielen. Und das gelingt ihm auch. Mit 10 Jahren kommt er an beim großen FCB. Hier lernt er das, was später so wichtig werden würde. Man erlebt hartes Training, feiert große Siege. Aber man leidet auch. Man verliert und muss lernen, wieder aufzustehen. Er lernt, was es heißt, ein Fußballprofi zu werden. Die Fans erwarten Tore und Siege, die Medien erwarten Präsenz, der Spieler selbst erwartet, er selbst zu bleiben. Müller wächst sehr früh in seinen Traum hinein. Er realisiert gar nicht richtig, dass er auf einmal Profi ist. Bei dem Verein, dem er seit frühster Kindheit die Daumen drückt.

Aushängeschild eines Weltvereins

Er kommt, sieht und trifft. Nach wenigen Jahren kommt es den Bayernfans so vor, als sei er schon immer da. Thomas Müller ist der FC Bayern und der FC Bayern ist Thomas Müller. Eine steile Karriere, Tore am Fließband, Titel über Titel und eine Ausnahmestellung bei den Fans. Aber er kennt auch andere Zeiten. Zeiten, auf die er sich nicht vorbereiten kann. Nicht mehr zu treffen, das kannte Thomas Müller nicht. Kurz vor Weihnachten 2016 erzielt er seinen ersten Saisontreffer. Alle wollen den geplatzten Knoten sehen, doch bis zum nächsten Tor dauert es bis März. Er spielt wie immer, doch vor dem Kasten gelingt ihm einfach nichts mehr. Bälle, die früher vom Pfosten ins Netz sprangen, bleiben jetzt vor der Linie. Schüsse treffen nur noch die Latte, jede kleine Situation scheint gegen ihn zu laufen. Er verzweifelt an seiner Misere. Seine Mitspieler versuchen, ihm die Bälle so gut wie möglich aufzulegen, aber es soll einfach nicht sein. So sehr ihm die Flaute auch zusetzt, so sehr erkennt man, wie wertvoll er abseits der Tore ist. Müller sieht Räume, die sonst niemand erahnt. Er kontrolliert diese Räume und verschiebt das Spiel. Eine Qualität, die in kaum einer Statistik berücksichtigt wird. Triffst du als Stürmer nicht, bist du außer Form. Am Ende der Saison stehen lediglich fünf Tore zu Buche. Über die 14 Assists sprechen nur wenige.

„Müller spielt immer“ werden wir wohl auch bei der WM wieder beobachten. 2010 war er Shootingstar, 2014 Führungsspieler. Und 2018 ist er stellvertretener Kapitän. Er weiß, wie man Titel gewinnt. Weiß, wie man mit Niederlagen umgeht. Weiß, wie es ist, wenn außer dem eigenen Umfeld niemand an einen glaubt, wenn das Glück gerade einmal mehr da ist. Und vor allem weiß er, wie man sich dieses Glück wieder erarbeitet. Ein Stürmer, wie ihn sich jede Nation nur wünschen kann. Als Spieler, Motivator, Entertainer und Ratgeber. Thomas Müller ist kein sehr guter Spieler, er ist ein Weltklassespieler.

Deutschland wird Weltmeister, Thomas Müller erzielt 5 Tore.

13. Juli 2014, Rio de Janeiro. Müller ist am Ziel aller Fußballerträume. ©Imago

Geht seine WM-Serie weiter, sehen wir in Russland wieder fünf Müller-Tore. Jogi Löw jedenfalls weiß, was er an diesem Stürmer hat. Er ist anders als alle anderen. Ob manche Tore geplant waren oder es doch völlig verunglückte Flanken sein sollen? Sind die Laufwege wirklich einstudiert oder sieht es einfach nur kurios aus? Stolpert er gegen Algerien 2014 über den Ball oder war es wirklich ein Freistoßtrick? Man weiß es nicht. Denn Thomas Müller ist unberechenbar, einzigartig, unverwechselbar. Und mittlerweile ist er alles: Der Erfahrene, der Unbekümmerte, der agressiv leader, wenn es mal sein muss, und der, der sich immer vor seine Mannschaft stellt. Er vereint alle Spielertypen und ist doch wieder seine eigene Kategorie.

Fünf Müller-Tore brauchen wir. Einer soll besser sein und Müller damit den Goldenen Schuh wegschnappen. Und dann wird er uns den Müller liefern, den wir alle lieben: „Des interessiert mi ois ned der Scheißdreck! Weltmeister samma, den Pott hamma! Den scheiß goldenen Schua konnst da hinter d’Ohren schmiern!“

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